[118W/24N] 118W/24N
Minoriten Galerien, Graz / Austria
15.9. - 10.10.1997
Austauschprojekt zwischen dem  kunstverein W.A.S. / Graz und 18 KünstlerInnen aus Los Angeles [buttom]
Kuratoren: Dr. Anne Ayres, Otis Gallery und Sam Erenberg / L.A


Karen Atkinson
Barbara Drucker
Sam Erenberg
Chris Finley
Gerald Giamportone
Jill Giegerich
Anna Homler
Ulysses Jenkins
Habib Kheradyar
Joyce Lightbody
Jeanne Patterson
Luciano Perna
William Radawec
Richard Ross
Pauline Stella Sanchez
Elena Mary Siff
May Sun
Liz Young
118W/24N

Bei Ausstellungen, die Arbeiten von vielen verschiedenen KünstlerInnen präsentieren, stellt sich immer die Frage, was vereint diese Künstler oder besser, deren Arbeiten? Dabei muß es gar nicht immer um inhaltliche - wie bei einer themenorientierten Ausstellung - Gemeinsamkeiten gehen. Viel interessanter zu sein scheint eher die darauf folgende Frage nach der kulturellen Metapher.
Also die Frage danach, welche Diagnose über gesellschaftliche Umstände und Standards (oder deren Brüche) sich aus dem (gemeinsamen) symptomatischen Charakter der unterschiedlichen Arbeiten ergibt. Denn Kunst ist, wenn auch nur mittelbar, als kulturelle Äußerung immer Symptom einer Reaktion auf gesellschaftliche Zustände und deren Standards. (Das hat nichts, oder nur wenig, mit der Rezeption von Kunst und den damit verbundenen ästhetischen Standards und Geschmacksurteilen zu tun.) Und als Symptom ist auch Kunst nicht Analyse, sondern ein Angebot für eine solche. Oder wie Slavoj Zizek sagt: "Und insofern im Symptom ein Kern des Genießens persistiert, der jeder Interpretation widersteht, ist vielleicht auch das Ende der Analyse nicht in einer interpretativen Auflösung zu suchen, sondern in einer Identifikation mit ihm, in einer Identifikation des Subjekts mit diesem nicht analysierbaren Punkt, mit diesem "pathologischen" Tick, der letztendlich die einzige Stütze seines Daseins bildet" (Slavoj Zizek in: Liebe Dein Symptom wie Dich selbst)

Die Ausstellung "118W/24N" im Grazer (Austria) Kulturzentrum bei den Minoriten, bei der ein großes Spektrum von konzeptuellen Ansätzen der gegenwärtigen amerikanischen Kunstszene präsentiert wird, macht auf diese Qualität von Kunst aufmerksam. Sie ist das Produkt eines Austauschprojektes von W.A.S. (Women's Art Support) Graz und 18 KünstlerInnen aus Los Angeles. Der amerikanische Teil (unter anderen mit Barbara Drucker, Liz Young, Ulysses Jenkins, Luciano Perna und Jeanne Patterson), der bei den Minoriten zu sehen ist, wurde kuratiert von Anne Ayers und Sam Erenberg aus Los Angeles. Der österreichische Teil (unter anderen mit Eva Ursprung, Veronika Dreier, Sabina Hörtner und Erika Thümmel) wird im Gegenzug im Frühjahr nächsten Jahres in Los Angeles zu sehen sein.

Viele der Künstler arbeiten mit "gefundenen Objekten" und "Alltagsmaterialien". Obwohl dieser Ansatz nicht wirklich neu ist und in der Kunstgeschichte der Moderne schon lange Tradition hat (die Anfänge sind in der Merzkunst von Kurt Schwitters genauso zu suchen wie bei Dada oder den Duchampschen Ready-Mades) zeigt sich hier eine sehr poetische Weiterentwicklung, die andererseits auch oft mit einer konkreten sozialen Komponente angereichert wird. So bietet beispielsweise Karen Atkinson bei ihrer Arbeit im Kreuzgang des Klosters dem Publikum und Hinterbliebenen von AIDS-Opfern die Möglichkeit zur sozialen Interaktion zum Thema. Sie hat quasi einen öffentlichen Quilt geschaffen, indem sie farbige Taschentücher aufgehängt hat, an denen man Namensschilder von Opfern aufhängen kann, so daß sich im Lauf der Zeit eine bunte soziale Plastik mit soziologischer Grundierung bilden kann. "In jeder Stadt, die von sich behauptet hier gäbe es wenige Opfer, gibt es dann doch überraschend viel", so die Künstlerin. Auch sind Dada und Arte Povera sicherlich ein Pate bei Luciano Perna. Der Künstler zeigt Objekte, die er bei "Garagenverkäufen" erworben hat. Diese Objekte hat er zu komplexen Werken umgestaltet - präsentiert allerdings wie bei einem solchen Garagenverkauf - , die wie eine Archäologie des Abfalls in ihrer diachronen Synchronität Auskünfte über unsere kulturelle Befindlichkeit geben.

Andere Arbeiten sind in ihrer Sprache komplexer. "Diese Beschäftigung mit einer poetischen und formalen Schönheit, hinter der sich ein hochentwickeltes intellektuelles Spiel verbirgt oder die den Zugang dazu schafft, ist die Wurzel der minimalistisch angelegten Untersuchungen von Sam Erenberg, Gerald Giamportone, Habib Kheradyar und William Radawec (Erenberg). Die Arbeiten der Genannten sind getragen von einer Sensibilität (fast Spiritualität), bei denen es nicht um Wahrheiten geht, sondern

Wieder andere Arbeiten (so etwa die "Mobile Creed Units" von Liz Young) beschäftigen sich mit den Ritualen und Obsessionen des täglichen Lebens. Einige (so die "Two hair balls" von Barbara Drucker, die "Pharmacia Poetica" von Anna Homler oder die mit zum großen Teil aus natürlichen Bestandteilen "kopierten" Mondrian-Bilder von Elena Mary Siff beschäftigen sich mit Body and nature as source-material und setzen dabei auf die Kraft von Talisman und Ritual. Eine fast manchmal antimodern anmutende Geste, die aber eigentlich vielmehr die narrativen Möglichkeit der großen Erzählungen kritisch beleuchtet und somit identifikatorische Analyse zu betreiben scheinen.
 

Franz Niegelhell
Graz, Austria  1997


 


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Doris Jauk-Hinz last update:31-01-01